Die schon in der Zwischenkriegszeit nicht nur in Graz herrschende Ambivalenz zwischen Tradition und Moderne war auch nach dem Zweiten Weltkrieg, der durch die verheerende autoritäre Herrschaft der Nationalsozialisten und davor bereits der Austro-Faschisten eine starke normative und gestalterische Verunsicherung und eine staatliche Ablehnung jeglicher fortschrittlich orientierter moderner Kunst mit sich gebracht hatte, im wesentlichen weiterhin deutlich spürbar. Über die Besatzungszeit Österreichs (1945–55) und somit Entstehungszeit des Grazer Künstlerhauses um 1952 hinaus lassen sich in den Ausstellungen der Folgezeit zwei unterschiedliche, wenn nicht gegensätzliche, Richtungen erkennen: Auf der einen Seite eine „konservative“, „bodenständige“ Moderne, auf der anderen Seite die „internationale Modernisierung“, wie sich schon am Baustil des Künstlerhauses selbst abzeichnet, der sich durch eine (spät)moderne Haltung unter Einbeziehung historistischer bis sakral-repräsentativer Elemente hin zu einer konservativ-modernistischen Bauweise ohne durchgehend stringent architektonischer Sprache auszeichnet. Ähnlich variantenreich gestaltete sich auch die Ausstellungshistorie der Institution, die anfangs den Versuch der Anbindung an die Moderne suchte (Picasso in Kopie, 1953; Die Wiener Secession, 1953), um alsbald einer eher traditionellen, in Teilen vor-modernen Kunst den Vorzug zu geben. Gerade externe Institutionen wie u.a. der steirische herbst konnten in temporären Bespielungen das Haus an die Gegenwartskunst heranführen. Das Künstlerhaus war beispielsweise Austragungsort der von 1963 bis 1995 ausgetragenen, ab 1965 von der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum veranstalteten Dreiländer-Biennale trigon, welche zur Präsentation des aktuellen Kunstschaffens der Länder Österreich, Italien und des ehemaligen Jugoslawiens diente.
Gudrun Danzer und Günther Holler-Schuster, beide Kurator_innen an der Neuen Galerie am Universalmuseum Joanneum und da u.a. mit der Betreuung der Sammlung betraut, rollen auszugsweise die Grazer Ausstellungshistorie von 1900 bis 1970 und somit wesentliche Vorläufer, die Entstehungszeit und die ersten Ausstellungsperioden des Künstlerhauses neu auf und besprechen den Aufbruch, die Reaktionen und Rückschritte der Moderne und ihrer Gegenpositionen in der Steiermark.
Der steirische herbst 2019 setzt sich unter der Überschrift „Grand Hotel Abyss“ und dessen Bezug auf den ungarischen Philosophen, marxistischen Interpreten und politischen Aktivisten Georg Lukács mit dem Verhältnis der Intellektuellen – und ihrer Ratlosigkeit – angesichts der erkennbar ansteigenden Gefahren des Faschismus in der Zeit knapp vor dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Darüber hinaus befasst sich das Künstlerhaus, welches 1951/52 während der de facto auslaufenden britischen „Besatzung“ und ihrer die Demokratie, den Wiederaufbau und die Fassung einer österreichischen Identität stärkenden bzw. ermöglichenden Administration im Auftrag des Landes Steiermark als erster Kulturbau Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut wurde, in inhaltlicher Anlehnung an die ausstellenden Künstler_innen Jasmina Cibic, Jeremy Deller und Ian Hamilton Finlay mit seiner eigenen Entstehungs- und Architekturgeschichte sowie Ausstellungshistorie und dehnt somit den historischen Rahmen bis in die Nachkriegszeit. Zu diesem Zweck sind Persönlichkeiten aus verschiedenen Disziplinen im Rahmenprogramm der Institution dazu eingeladen, die Gründung und Entwicklung des Grazer Künstlerhauses bis hin zu einer aktuellen Form einer Halle für Kunst & Medien aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.
Dr. Gudrun Danzer (*1958 Graz, lebt in Graz) studierte Kunstgeschichte und Romanistik an der Universität Graz. Sie ist Kuratorin der Sammlung für Gemälde, Skulpturen und Installationen in der Neuen Galerie am Universalmuseum Joanneum, zudem ist sie dort mit der Provenienzforschung betraut. Sie kuratierte u.a. die Ausstellung „Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz“ (Neue Galerie Graz, 2014/15) und ist (Mit-)Herausgeberin zahlreicher Kataloge wie „Rudolf Szyszkowitz 1905–1976“ (Wien 2005) oder „Moderne: Selbstmord der Kunst?“ (2011), der anlässlich der gleichnamigen Ausstellung der Neuen Galerie unter Federführung von Peter Weibel und Christa Steinle erschien.
Mag. Günther Holler-Schuster (*1963 Altneudörfl, lebt in Graz) studierte Kunstgeschichte und Volkskunde an der Universität Graz. Er ist Sammlungskurator und stellvertretender Abteilungsleiter der Neuen Galerie am Universalmuseum Joanneum, wo er bereits während seiner Studienzeit tätig war. Holler-Schuster ist selbst auch als Künstler tätig und gründete 1987 die Künstlergruppe G.R.A.M.. Er kuratierte zahlreiche Ausstellungen in der Neuen Galerie Graz und im Kunsthaus Graz, darunter „Moderne in dunkler Zeit“ (2001) oder „Kunst der Anpassung“ (2010-11), und daneben Projekte für den steirischen herbst oder die Secession Wien.