Es hat sich gezeigt, dass sich die Ruinen des Sozialismus mühelos in einen fruchtbaren Nährboden für Nationalismus umwandeln lassen. Ungarn ist treibende Kraft eines radikalen Wandels einer Gesellschaft, in der schließlich auch ihre Stützpfeiler, Kunst und Kultur, von dieser Veränderung vereinnahmt werden. Die autoritären und systematischen Prozesse einer strikten Implementierung von Regelwerken führten zu einer Stärkung von kontrollierten und extern gesteuerten Institutionen, und damit einhergehend zu einem sich ausdünnenden Feld für kritische Gegenwartskunst und Kunstkritik.
Der Vortrag möchte die Entwicklungskurve des kulturellen Durchgriffs nachzeichnen, vom ersten „coup d’ètat” zur schrittweisen Vereinnahmung aller Teilbereiche des kulturellen Feldes bis hin zur totalen Kontrolle beinahe aller Institutionen, der Besetzung von Führungspositionen und des Großteiles der finanziellen Fördermittel. Ausgelöst durch diese repressive Vorgangsweise wird sich der Vortrag mit den ersten heftigen Reaktionen gegen diese nationale Kulturpolitik, die mit unterstützenden Protestbewegungen in der virulenten Heimat und im Ausland weiter angefacht werden, sowie mit alternativen Handlungsmöglichkeiten außerhalb des institutionellen Rahmens auseinandersetzen. Darüber hinaus möchte der Vortrag kreative und unkonventionelle Praktiken und Genres der an den Rand gedrängten Kunstszene und den aus dieser Kreativität hervorgebrachten farbenfrohen Aktivismus vorstellen – darunter auch die Kritik, die ihre Position in dem veränderten Umfeld erst finden muss.
Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen und der damit verbundenen Kursänderung der offiziellen Kulturpolitik, die als "Normalisierung" beschrieben werden kann, wird es möglich die paralysierenden Auswirkungen auf das Umfeld der Wahrnehmung und Interpretation und damit das neue Dilemma zu analysieren, in dem sich die Kritik insgesamt wiederfindet. Die veränderte Art der Zensur und die deutlichen Verschiebungen zwischen den scheinbar ähnlichen Konfigurationen einer Underground-Kritik zu Zeiten des Sozialismus im Kalten Krieg und einer Kritikalität zu Zeiten des Nationalismus im Post-Kalten Krieg soll kritisch geprüft und besprochen werden.
Edit András ist Kunsthistorikerin, Kunstkritikerin und Professorin, sie lebt und arbeitet in Budapest und Long Island, New York. Sie ist Senior Research Fellow am Forschungszentrum für Kunstgeschichte an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Ihr Forschungsfeld umfasst kritische Theorien, zeitgenössische Kunst im post-sozialistischen Ost- und Zentral-Europa, Gender Studies, Kunst im öffentlichen Raum, kritische Praktiken und Nationalismus. Ihre Texte wurden u.a. in den Magazinen Springerin, ThirdText, e-flux und Artmargins veröffentlicht. Sie ist Mitglied der Redaktion von Artmargins online und Ars Hungarica. 2008 erhielt sie den Kunstkritik-Preis des ungarischen Teilverbands der AICA (Association Internationale des Critiques d’Art).
http://editandras.arthistorian.hu
Organisiert von: Igor Zabel Association for Culture and Theory, Ljubljana; Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien, Graz