Vor dem Hintergrund aktueller politischer und medialer Entwicklungen widmet sich das Grazer Künstlerhaus, die Halle für Kunst & Medien (KM–), der Freiheit der Rede, ihrer Verwendung und ihrem Missbrauch. „Hate Speech. Aggression und Intimität" zeigt internationale Positionen der zeitgenössischen Kunst, die sich mit Formen der zunehmend aggressiven Kommunikation und Wirkung der Social Media und ihren medialen Spielarten befassen. Dabei steht die sozial-medial kommunizierende Person mit ihrem sozialen Mitteilungsbedürfnis, medialisiertem Engagement und Identitäten hinterfragendem Spiel um Anonymität und Rollentausch im Mittelpunkt. Die Autor_in sehnt sich gleichzeitig jedoch auch nach individueller Abgrenzung und Erkennbarkeit und scheint so auf der Suche nach einer aktualisierten Fassung von Individualität und Intimität zu sein. In zunehmendem Ausmaß umso erschreckender sind die Reaktionen aus Teilen der Netz-Community, die sich in Ablehnung, Missgunst und Hass nahezu überbieten. Weiterführende Fragen rund um Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit begleiten die Auseinandersetzung um das Projekt „Hate Speech. Aggression und Intimität".
Die freie Rede und öffentliche Meinungsäußerung sind ein Kernelement der Demokratie. Das Formulieren und Austauschen von Gedanken und Argumenten ermöglicht das Kennenlernen und Abwägen von unterschiedlichen Standpunkten zu einer thematischen Fragestellung und zielt darauf ab, gemeinsam an einem inhaltlichen Konsens zu arbeiten und diesen sukzessive aufeinander abzustimmen. Gängige Formate für diesen mitunter etwas aufwendigen, aber für das Gemeinwohl substanziellen Prozess bieten öffentliche Diskussionen, Talk-Shows oder Parlamente. Traditionelle Medien nehmen darin eine Sonderstellung ein, da sie nicht nur über Nachrichten berichten und diese interpretieren, sondern meist auch ein Forum für das Publikum anbieten, wie den Abdruck von Leserbriefen in Zeitungen, das Anrufen in Radiosendungen oder die Teilnahme bei entsprechenden Fernsehformaten.
Das Internet hat im Hinblick auf das Formulieren und Veröffentlichen unserer Gedanken für eine nachhaltige Veränderung gesorgt, die eine weniger gefilterte und zugleich intensivere Teilnahme des Einzelnen an öffentlichen Debatten möglich macht. Die diversen Kanäle von Social Media erlauben es technisch wie inhaltlich, dass mit vergleichsweise geringem Aufwand nicht nur in die Online-Versionen traditioneller Medien, sondern in Online-Foren von netzbasierten Medien interveniert werden kann. In diesem Zusammenhang ist der erstaunlich übermäßige, ungefilterte Ausdruck von Aggression, Falschinformation und die Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung durch eben diese zentraler Bestandteil eines aktuellen Mediendiskurses.
Im Angesicht einer erleichterten Verbindung bis potentiellen Vermengung zwischen den Bereichen des Privaten und des Öffentlichen im virtuellen Raum rückt die Hinterfragung der subjektiven Haltung bis hin zu einer Neukonnotation der Intimität des Einzelnen verstärkt in den Fokus. Es scheint, als entstehe aus der Reaktion der Abgrenzung gegenüber gewissen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ein erneut erlangtes Selbstbewusstsein, das mitunter eine gesteigerte Sensibilität gegenüber der eigenen Psyche und Körperlichkeit beinhaltet. Die daraus resultierenden Experimente zur Verfassung des Subjekts, welche im Netz teils aggressiv nach Sichtbarkeit suchen und sich nicht selten in Widersprüche verstricken, sind zentrales Moment in der künstlerischen Auseinandersetzung mit „Hate Speech. Aggression und Intimität".
In der Ausstellung im KM– kommt dem Begriff der Intimität besondere Aufmerksamkeit zu. Dieser beschreibt das Bedürfnis nach Abgrenzung vom Außenraum und den Anderen, nach Rückzug und Ruhe, um das Eigene erkennen und beschreiben zu können – und es in angestrebter Selbstermächtigung schließlich darstellen und ausleben zu können. Intimität basiert auf Verlässlichkeit der Bezüge und Referenzen, die diesen Rückzug in Form von anerkannten Daten beschreiben und damit eine Konzentration auf das Eigene erlauben. Durch die Techniken und Formen der Kommunikation des Internets und im Besonderen die darin grassierenden Fake-News und aggressiven Hassreden ist gerade diese Verlässlichkeit der Datenlage in ständiger Diskussion, was den zunehmenden individuellen Zug nach Intimität zusätzlich erschwert.
Anlässlich der Ausstellung Hate Speech. Aggression und Intimität präsentiert das KM– neben 46 Exponaten von 16 internationalen Künstler_innen auch eine eigens für die Ausstellung konzipierte Ausstellungsarchitektur, die die Funktion der Institution als Ort der gesellschaftlichen freien Auseinandersetzung und demokratischen Diskussion metaphorisch aufgreift: Ein zentrales Baugerüst unterteilt die große Haupthalle im Erdgeschoss in Form einer ausladenden Plattform und davon abgehenden, flexiblen Elementen in zwei Ebenen und ermöglicht so den Besucher_innen neue Perspektiven auf den Raum und die Kunst. Das Gerüst, das in vielen Formen denkbar und immer wieder aufs Neue zusammensetzbar ist, steht hierbei für den unendlichen Pool an Möglichkeiten innerhalb der Gestaltung unserer – analog wie virtuell kommunizierenden – Gemeinschaft. Mit der so geschaffenen Möglichkeit einer aktiven Teilhabe an der Gesamtkonzeption der Ausstellung werden die Besucher_innen selbst zu Darsteller_innen und abseits von ihren Wahrnehmungsgewohnheiten in einen erweiterten Prozess der Reflexion mitgenommen.
Die international besetzte Ausstellung „Hate Speech. Aggression und Intimität" nimmt bedenkliche Tendenzen einer oftmals allzu direkten Rede als Ausgangspunkt und setzt ihm kritische Beispiele gegenüber, um den hohen Wert der freien Diskussion und damit einer demokratischen Meinungsbildung innerhalb einer offenen Zivilgesellschaft aktualisiert zu unterstützen. Das Projekt versteht sich als Beitrag einer gemeinschaftlichen Diskussion und verfolgt das Ziel, die Sensibilität und das Bewusstsein für den virtuellen, öffentlichen und privaten Raum der Meinungsbildung zu erhöhen. Empörung war gestern, entpört euch!
Rahmenprogramm: Veranstaltungen und Vermittlung
Die Gruppenausstellung "Hate Speech. Aggression und Intimität" wird von einem vielseitigen Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm und von der Online-Publikation des Künstlerhauses, dem KM–Journal, begleitet. Dieses Rahmenprogramm fungiert als Ergänzung zur Ausstellung, bietet interessierten Besucher_innen die Möglichkeit der thematischen Vertiefung und will zum Diskurs anregen.
Jeden Samstag um 11 Uhr haben Besucher_innen der Ausstellung die Möglichkeit an einer öffentlichen und kostenfreien Überblicksführung teilzunehmen. Im Sonderformat der kuratorischen Führung gewährt der Direktor und Kurator der Ausstellung, Sandro Droschl, am 07.02. einen Blick hinter die Kulissen der Ausstellungsproduktion der Institution.
Donnerstags komplementiert die Veranstaltungsreihe "An Art Day's Night" (AADN) im KM– ab 18 Uhr bei freiem Eintritt die aktuelle Ausstellung. Hier spiegeln sich in Vorträgen, Gesprächen und Diskussionen von und mit bedeutenden Stimmen aus Wissenschaft und Kultur thematische Aspekte von "Hate Speech. Aggression und Intimität". Unter Moderation von Junior Curator Jana Franze bieten unsere eigens eingeladenen fachspezifischen Gäste unter anderem Vorträge zur rechtlichen Verfolgung von Shitstorms im Internet, zur Schnittmenge von politischem Handeln und emotionalem Ausdruck und zu neuen Formen der Selbstdarstellung im digitalen Raum an. Künstlergespräche, Konzerte, Katalogpräsentationen und Filmscreenings rücken außerdem einzelne künstlerische Positionen aus dem Kanon der in der Ausstellung zu sehenden Künstler_innen und darüber hinaus in den Fokus. Zielpublikum der AADN sind bereits näher mit Kunst vertraute und besonders interessierte Personen, die Lust auf Information und produktive Konversation haben.
Samstags um 15 Uhr lädt die neue Gesprächsreihe Convo Club. Fresh Talks jüngere Positionen aus Kunstkritik, Musik und Journalismus ins KM– ein: In gemütlichem Rahmen wird bei einem spritzigen Kaltgetränk mit interessanten Gästen und Gastgeberin Verena Borecký, der kuratorischen Assistentin im Künstlerhaus, über brisante Themen diskutiert.
Die eigene Kreativität können die Besucher_ innen des KM– während der Laufzeit von "Hate Speech. Aggression und Intimität" in zwei Workshops fördern: Im Radio Workshop "On Air" am 09.02. wird erprobt, wie Kunst in Sprache übersetzt und wiederum hörbar gemacht wird. Beim Poetry Slam Workshop "On Poems" am 02.03. wird mit einem poetisch rhythmischen Sprachgefühl experimentiert.
Der Schulaktionstag "Extraklasse!" am 27.02. richtet sich gezielt an Schulklassen und bietet einen ganzen Tag lang die Möglichkeit eines buchbaren, praktischen Workshops für jede Altersstufe.
In dem redaktionell durch den Berliner Kunstkritiker Dominikus Müller und das kuratorische Team betreute Online-Magazin auf der institutionellen Plattform KM–Journal (https://journal.km-k.at) wird das umfangreiche Projekt zu den präsentierten schriftlichen und künstlerischen Ansätzen erweitert, um so die Diskussion über Hassreden und ihre illegitimen und fortlaufenden Attacken auf demokratisch entwickelte Kommunikationsformen zu vertiefen – und diesen neben der analogen Ausstellung auch online etwas gegenüberzustellen.