Der Grazer Bühnenautor und Dramatiker Wolfgang Bauer prägte den Begriff der Mikrodramen, die sich in ihrer Kürze und mit ihren auf der Bühne kaum umsetzbaren Regieanweisungen häufig dem Filmischen nähern, deren tatsächliche Verfilmung er aber stets ablehnte. Diese dramatische Form, die – lediglich als Text intendiert – sich ihrer Aufführbarkeit entzieht, unterwandert somit die Grenzen von Theater. Ein Interesse an filigranen Unterwanderungen und die Arbeit mit Brüchen steht im Mittelpunkt der vielschichtigen, multimedialen Re-Inszenierungen historischer Stoffe aus Film, Kunst und Theater von Kerstin Cmelka (geboren 1974 in Mödling, lebt in Berlin) in ihrer Personale im Künstlerhaus KM–, Halle für Kunst & Medien.
In diesen Re-Inszenierungen kommt es durch das Mitwirken befreundeter Künstlerinnen und Künstler zu (Ver-)Doppelungen im Aufbau meist brüchiger Komplizenschaften mit den Betrachter/innen. Die darin neu verhandelten Aussagen zwischen den Polen Kunst und Leben werden einander überschneidend gezeigt, stets wird ein reflexives Meta-Kommentar zur möglichst freien Interpretation mit aufgeführt.
Darüber hinaus zielen die Determiniertheiten der historischen Vorlagen im konfrontativen Kontrast mit den Wiederholungen durch die Darstellungs-„Laien“, als Einziehen zusätzlicher Ebenen, auf die Beantwortung der Fragen: Wie könnte ein frei bekommen des Blicks auf die Dinge zwischen Kunst und Privat funktionieren? Welche ursprünglich intendierten Momente der Utopie erscheinen weiterhin relevant?
Ein skulpturales Display in Gestalt eines Sofa-Ensembles, das eine allgemeine Einladung an das Ausstellungspublikum gestisch thematisiert und reflexiv auflädt, ermöglicht die achronologische und abwechselnde Betrachtung von Cmelkas aktuellen Videoarbeiten:
Der sich aus drei verschiedenen Einzelsequenzen zusammensetzende Film „Art and Life“ zeigt eine Autofahrt eines sich streitenden Wiener Pärchens im Künstler/innen-Milieu, eine kurze Stummfilmsequenz und einen therapeutisch konnotierten Interview-Ausschnitt. Die einzelnen Szenen geben Nachstellungen aus Spiel-und Fernsehfilm der 1970er-Jahre wieder. Die Stummfilmsequenz etwa stellt den ORF-Auftritt der Sängerin Nina Hagen in der österreichischen Talkshow „Club 2“ nach, in der die Musikerin weibliche Masturbation während dem heterosexuellen Geschlechtsverkehr skandalträchtig veranschaulicht. Im psychotherapeutischen Gespräch sorgt Cmelka vor und hinter der Kamera für illusorische Doppelböden in der Autorschaft.
In „The Individualists“ wiederum wiederholen die mit der Künstlerin befreundeten Künstler/innen Jordan Wolfson, Dan Posten, Anke Weyer und Alexis Hyman drei unterschiedliche Interviewszenen aus Fernsehen und YouTube nach ihrer Transkription als Skript. Zwei davon sind historisch: ein Ausschnitt aus „52 Bond Street“, einer Interviewreihe, die David Byrne in den 1970er-Jahren in seinem Apartment in der gleichnamigen Straße mit verschiedenen Künstler/innen, etwa dem 25 jährigen Jeff Koons realisierte. Weiters ein Interview in einem Hotelzimmer zwischen Bianca Jagger und dem 30jährigen Steven Spielberg nach einer seiner ersten Filmpremieren. Als drittes und zeitgenössisches Interview: Dr. Laura Schlessinger, eine TV- und Radiolebensberaterin, die ihr aktuelles Buch „Surviving a Shark Attack on Land“ im Morgenfernsehen vorstellt.
Allen drei Vorlagen ist einerseits ein Hang zum Übernatürlichen gemeinsam: Geister in Fernsehstörbildern, Radioempfang in der Zahnfüllung bei Spielberg, hyper-metaphorische Städtenamen als Symbole von Gefühlszuständen bei Koons und ins Surreale bis ins Absurde abgleitende metaphorische Bilder. Zudem wurden die drei Videoaufnahmen derart editiert, dass die einzelnen Szenen in einander übergehen und inhaltliche sowie auch räumliche Ähnlichkeiten, Gleichzeitigkeiten und das Absurde ihres Narrativs verstärkt werden.
Zur Ausstellung „Kunst und Lebensform“, die sich über beide Raumebenen des Künstlerhaus KM–, der Halle für Kunst & Medien erstreckt und die mit einer Live-Theaterperformance eröffnet wird, erscheint der erste monografische Katalog der Künstlerin in Kooperation mit dem Kunstverein Harburger Bahnhof.