„Dichtung sträubt sich gegen falsche Verbindungen. [...] Sowohl das konventionelle Erzählen als auch die Darstellung von visueller Beschreibung sind für die heutige Erlebnisweise ungeeignet. [...] Dadurch, dass Dichter diesen falschen Verbindungen widerstehen, während sie zugleich andere (wieder-)entdecken, tragen sie eventuell dazu bei, die Sprache in ihrer Entwicklung von einengenden Narrativen zu reinigen. So können wir unsere Welt und uns gegenseitig in einem neuen Licht wahrnehmen – wirkmächtig, empathisch, humor- und respektvoll.“ Ann Lauterbach
Die Ausstellung „Sighs Trapped by Liars – Sprache in der Kunst“ ist dem bereits im Titel (Seufzer in der Falle von Lügnern) angedeuteten spannungsgeladenen Verhältnis der Sprache zur Kunst gewidmet. So sehr es sich hierbei auch um ein langgewachsenes und produktives Verhältnis handelt, wurde es verstärkt im 20. Jahrhundert von den künstlerischen Avantgarden nochmals radikal hinterfragt und experimentell überprüft: Von den Futuristen über die Dadaisten, den Surrealisten oder Lettristen – stets waren Überwindungen der Syntax beliebte Methoden, um Effekte des Sprachlichen freizulegen oder um ein Problembewusstsein bezüglich ihres Repräsentationscharakters zu schaffen. In der Konzeptkunst der 1960er- und 1970er-Jahre wurde die Rolle der Sprache noch prägender, da sie oft nicht nur zum alleinigen Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung wurde, sondern auch als eigenständiges Medium künstlerischer Praxis reüssierte. Das Kunstwerk konnte nunmehr ausschließlich in der durch Sprache ausgedrückten Idee bestehen. Parallel zu Manifesten und Statements nahmen die Verbreitung und der Einsatz von Texten als Mittel der Dokumentation, die performative Aufführung begleitende oder Handlungsanweisungen beinhaltende Skripten ebenso zu, wie sich Schriftformen von Künstler_innen über eigene Arbeiten, von Kolleg_innen oder allgemein zur bildenden Kunst weiter etablierten. Durch die sich gegenwärtig aufgrund steter Digitalisierung potenzierenden Möglichkeiten des Schreibens sprechen Autoren wie Kenneth Goldsmith („Uncreative Writing“) sogar von einer Neuerfindung der Sprache und begrüßen dabei die Automatisierungen in der Bedeutungsherstellung und damit einhergehenden Auseinandersetzungen mit Kreativität, Identität und Autorenschaft.
Ausgehend von dem gleichnamigen Werktitel einer Arbeit der, für ihren sprachanalytischen Kunstbegriff bekannten, jedoch mit einer anderen Arbeit in der Ausstellung vertretenen Künstlergruppe Art & Language, untersucht „Sighs Trapped by Liars – Sprache in der Kunst“ solche aktuellen Fragen aus der Perspektive des Poetischen und seines Wandels und stellt dabei dessen produktive Brüche im analog Visuellen in den Vordergrund.
Neben frühen Pionier_innen der 1960er-Jahre wie Alison Knowles und Nanni Balestrini, die bereits weit vor der ubiquitären Digitalisierung des Alltags den Computer als wesentlichen und künstlerischen Bestandteil in deren poetische Produktion einführten, versammelt die umfangreiche Schau Inszenierungen sprachlichen Materials in kleinsten Nennern, Zeichen und Einzelteilen (Shannon Ebner, Heinrich Dunst, Georg Oberhumer) und eröffnet alleine durch grafische Neuanordnungen und visuelle Verschiebungen massive Interpretationsspielräume klassischer Texte wie im Falle der künstlerischen Beiträge von Natalie Czech (Guillaume Apollinaire), Michael Riedel (Sigmund Freud) oder Isabella Kohlhuber (Ludwig Wittgenstein). Die Ausstellung zeigt sowohl Neuproduktionen der Künstlerinnen Isabella Kohlhuber und Sue Tompkins, als auch historische Arbeiten wie etwa Ewa Partums Video „Active Poetry“, welches im Zerstreuen von ausgeschnittenen Buchstaben aus Papier aktivierende Bezüge auch außerhalb eines Textes aufzeigt, oder etwa die beispielhafte, am Sinngehalt des Palindroms „In girum imus nocte et consumimur igni“ (Wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verschlungen) angelehnte und partiell geschwärzte Neonarbeit des walisischen Künstlers Cerith Wyn Evans. Dabei eint die Arbeiten der Ausstellung, dass sie eine spezielle und schon in „Sighs Trapped by Liars“ skizzierte Fallen-Situation in die Präsentation des Sprachlich-Poetischen miteinbeziehen. Die folgenden kennzeichnenden Fragen konstituieren die Ausstellung und halten sie offen zugleich: Welche Werke zeichnen in diesem Kontext eine Geschichte des künstlerisch-poetischen Experiments nach und welche mediale Materialisierung erfahren sie dabei heute? Welche Arbeiten versuchen sich ausgehend von den medialen Verzerrungen des Schreibens selbst in einer poetischen wie bildnerischen Praxis? Und was genau ändert sich, wenn Wörter der visuellen Sphäre der Kunstwelt ausgesetzt sind?