Die Ausstellung „… Was ist Kunst? … Resuming Fragmented Histories” stellt die vom Künstler und Vertreter Serbiens der Venedig Biennale 2011 Raša Todosijević in der gleichnamigen Performancereihe gestellte Frage erneut. Wie das darin Unbeantwortetbleiben jener vor fast vierzig Jahren bis zur Erschöpfung wiederholten Frage, die immer auch für eine Aktivierung der Künstler/innen-Rolle im Kunstdiskurs plädierte, geht die Ausstellung dieser existentiellen Frage vor dem Hintergrund der massiv veränderten Territorial- und Kulturbeziehungen in Zentraleuropa nach. Kunsthistorische Rückblicke einstiger herausragender süd-osteuropäischer Beiträge wie der slowenischen Künstlerbewegung OHO, Ansätze und Analyse einer Vernetzung von Kunst- und Lebensformen auf transnationaler, kollektiver, von der Abwesenheit jedweden physischen Territoriums ausgehenden Basis à la IRWIN sollen in einem Bezug zwischen künstlerischer Praxis im ehemaligen sozialistischen Jugoslawien und der Herausforderung aktueller künstlerischer Arbeitsweisen von im postkommunistischen Übergang befindlicher Staaten und der neokolonialistischen Realität in Osteuropa gezeigt werden. Auf welchem Verständnis die Hinterfragung geopolitischer Determinanten als auch lokal konnotierter Produktion von Geschlechter- und Politikdifferenz durch Kunst, Aktivismus und visuelle Kultur für eine jüngere Künstler/innen Generation fußt ist ebenso Inhalt dieser Ausstellung wie der Appell an die gesellschaftliche Rolle der Institution Kunst mit Fragezeichen.
Den im Subtitel angeführten fragmentarischen Geschichten werden in dieser Ausstellung zum diesjährigen steirischen herbst und dessen Leitmotiv „Liasons dangereuses“ breiter Raum zur Auseinandersetzung gegeben. Historische Vorläufer und Positionen der jüngeren Kunstgeschichte werden hinsichtlich ihrer einstigen konfrontativen Signalwirkung neu betrachtet. So führt uns etwa eine Arbeit der in Wien lebenden Künstlerin Luiza Margan in das Graz des Jahres 1972, in dem Akteure der Künstler/innengruppe TOK aus Zagreb gegen die zunehmende Warenförmigkeit der Kunstproduktion im Rahmen des Kunst-Markt-Kultur-Events nicht etwa mit politischen Slogans sondern mit abstrakten geometrischen Mustern auf ihren Bannern demonstrierten.
Die in der Ausstellung gezeigte Arbeit „Staging Actors / Staging Beliefs (Homage to Slavko Štimac) “ der Videokünstlerin Renata Poljak, setzt sich mit dem Schicksal des Schauspielers Slavko Štimac, dem einst gefeierten Kinderstar aus der Ära Tito, der als große generationenübergreifende Identifikationsfigur galt, auseinander: Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens und dem damit verbundenen Schwinden seiner Rolle(n) war er zunehmendem Vergessen ausgesetzt. Diese für sich mikroskopisch kleinen Geschichten sind es, die in Summe ein gesellschaftliches Klima nach Zusammenbruch einstiger dominanter Ideologien für Deutungen und Erklärungsversuche beschreibbar halten, gerade auch wenn das „kommunistische System (selbst) nie alleine eine Angelegenheit allgemeiner historischer Events und globaler Geopolitik war. Es basierte auf dieser Mikroebene des Alltagsleben und seinen Details, von der Auswahl der Gegenstände mit denen sich die Leute zuhause umgaben, bei der Arbeit und in der Stadt bis hin wie die Leute im Bus miteinander kommunizierten. Politik, die Gesellschaftsstruktur und die banalsten sowie intimsten Alltagsdetails waren untrennbar miteinander verbunden.“(1) Woran etwa die Arbeit von Bojan Fajfrić anknüpft, der nach anderen Möglichkeiten und Ausgängen in als historisch betrachteten Wendepunkten der Geschichte sucht und seinem Vater eine weniger heldenhafte Rolle in „Theta Rhythm“ zugesteht.
Die ab dem 7. November gezeigte diesjährige Filmproduktion Marta Popivodas „Yugoslavia, how ideology moved our collective body“ zeichnet im Kontext der Ausstellung den Funktionsweisen von Ideologie im öffentlichen Raum anhand von Massenveranstaltungen wie staatlichen Aufmärschen oder Protestkundgebungen soziale Veränderungen zwischen dem sozialistischen Jugoslawien und einem neoliberalen Serbien nach. Auch wie eben eine jüngere Generation auf mythenbehaftete skulpturale und architektonische Designs eines Repräsentanten eines intakten Jugoslawien reagiert, wird in Dialogform für eine Betrachtung in „… Was ist Kunst? … Resuming Fragmented Histories” vorstellbar zu halten versucht: Zu Arbeiten des bedeutenden kroatischen Bildhauers Vojin Bakić werden dokumentarische (Marko Krojač) und performative Auseinandersetzungen (Marko Lulić) in Beziehung gesetzt. Dass Raša Todosijević’ einstige Frage auch über den Bezugsrahmen Kunst hinaus und 24 Jahre nach dem Ende Jugoslawiens sich heute nicht einfach mit einem reduzierenden Narrativ einer „erfolgreichen Osterweiterung“ beantworten lässt, auch das wird diese Ausstellung anschauungsreich vermitteln.
(1) Igor Zabel, Intimacy and Society. Post-Communist or Eastern Art?, in: Igor Zabel, Contemporary Art Theory, JRP|Ringier / Les presses du réel, 2012, S. 107.